Am 18. Januar 2019 gingen 22 000 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende in mehreren Schweizer Städten für den Klimaschutz auf die Strasse. Die Demonstration zeigt, was bereits aus mehreren Studien hervorgeht: Der Umweltschutz ist eines der grössten Anliegen der Schweizerinnen und Schweizer. Diese erklären sich mehrheitlich bereit, erneuerbare Energien zu fördern. Der Wille zur Veränderung ist greifbar, nicht nur bei der jungen Generation. Doch die grösste Schwierigkeit liegt im Übergang zum aktiven Handeln. «In unseren Umfragen stellen wir oft eine Diskrepanz zwischen den von den Befragten beschriebenen umweltfreundlichen Handlungsabsichten und ihrem tatsächlichen Verhalten fest», erklärt Oriane Sarrasin, Oberassistentin für Sozialpsychologie an der Universität Lausanne. Um das Phänomen besser zu verstehen, liefert sie mehrere Erklärungsansätze.

 

Vom sozialen Druck zur Veränderung unserer Verhaltensweisen
 

Zunächst der soziale Druck: «Dieser darf nicht unterschätzt werden», so Oriane Sarrasin. «Bei einer Umfrage verspüren die Teilnehmenden bewusst oder unbewusst den Druck, sich im Normbereich zu bewegen. Einige Personen werden deshalb ihr Engagement, weniger Energie zu verbrauchen, bewusst be­schönigen.» Eine weitere Schwierigkeit liegt in der zugleich ab­strakten und konkreten Dimension des Klimawandels und ­seiner Bekämpfung. Der Klimawandel wird als etwas Abstraktes betrachtet, als etwas, das zeitlich und räumlich entfernt statt­findet. Dies kann dazu führen, dass man sich nicht betroffen fühlt, es kann aber auch Ängste auslösen. Die im Alltag ­umzusetzenden Verhaltensweisen zum Umweltschutz sind im Gegensatz dazu sehr konkret: Abfall trennen, sich umweltfreundlicher fortbewegen, Ernährungsgewohnheiten verändern. Darüber hinaus ist es auch schwierig, einzuschätzen, wie sich die im Alltag umgesetzten Massnahmen tatsächlich in der verbrauchten Energiemenge zeigen. 

Die Umstellung der Gewohnheiten stellt einen komplexen Prozess dar, der über die Bereitschaft hinausgeht. Mit der Bereitschaft lässt sich nur ein Teil der veränderten Verhaltensweisen erklären. Die Forschenden des im Rahmen des
NFP 71 durchgeführten Projekts «Nachhaltige Lebensstile und Energieverbrauch» weisen darauf hin, dass man Gewohnheiten nur dann ändern kann, wenn man sich dazu in der Lage fühlt. Das hat mit den vorhandenen Infrastrukturen zu tun (Gibt es Fahrradwege, damit ich sicher zur Arbeit fahren kann?), aber auch mit persönlichen Kompetenzen (Bin ich körperlich in der Lage, Fahrrad zu fahren?). In vielen Bereichen muss man gut informiert sein und über passende Möglichkeiten verfügen, um seine Verhaltensweisen zu ändern.

 

Die Schwierigkeit des Verzichts
 

Die Kosten, die ein umweltfreundliches Verhalten mit sich bringt, sind ebenfalls von Bedeutung, zumal diese von einer Person zur nächsten variieren. «Dies wird jeweils durch die Aspekte Zeit, Geld und Vergnügen bestimmt», erklärt Oriane Sarrasin. «Der Verzicht auf ein Auto zugunsten der öffentlichen Ver­kehrsmittel hat für einen jungen Stadtbewohner nicht dieselben Auswirkungen wie für eine alleinerziehende Mutter auf dem Land.» Auch der Faktor Vergnügen ist relevant, da der Mensch ungern darauf verzichtet: Für einige betrifft dies die Ferien in der Karibik, für andere den Fleischkonsum und für wieder ­andere das Autofahren ... «Es ist schwierig, in diesen Bereichen anzusetzen, da dies als Eingriff in die Privatsphäre empfunden wird», ergänzt Oriane Sarrasin. «Im heutigen Kontext ist eine öffentliche Kampagne, die zum Flugzeugboykott für Ferien­reisen aufruft, nur schwer vorstellbar!»

Auch persönliche Eigenschaften wie Schuldgefühle oder Perfektionismus können dazu beitragen, dass jemand seine ­ökologischen Grundsätze umsetzt. Zynismus oder Egoismus führen im Gegensatz eher dazu, dass Menschen grüne ­Verhaltensweisen ignorieren. Diese Trends gehen aus den Forschungsresultaten hervor. Aber es ist auch wichtig, einfache ­umweltfreundliche Gesten von konsequent grünem Handeln zu unterscheiden. Denn die sogenannten einfachen Schritte, wie der Einsatz von Energiesparlampen in einer Wohnung, sind stärker mit der grünen Identität der Menschen verbunden. Der Einfluss dieses Umweltbewusstseins nimmt jedoch ab, wenn Individuen mit komplexeren Ansprüchen konfrontiert werden, etwa mit dem Verzicht auf Flugreisen oder auf ein Einfamilienhaus. «Diese Massnahmen sind mit dem sozioökonomischen Niveau und dem Einkommen verbunden», gibt Oriane Sarrasin zu bedenken. «Menschen, die sich dafür entscheiden, tun dies generell eher aus finanziellen Gründen denn als bewusste Wahl.» Wie können wir das verstehen? Oriane Sarrasin weiss: «Die Werte unserer Gesellschaft sind nach wie vor materialistisch. Veränderungen in diesem Bereich brauchen Zeit.»

 

Der Wandel der materialistischen Werte
 

Pia Furchheim ist Marketingspezialistin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft und hat eine der wichtigsten Verbraucherkategorien der Schweiz untersucht: die grünen Materialisten. Das sind Personen, die über ein mittleres bis ­hohes Einkommen verfügen und aus Überzeugung ­versuchen, ihren ökologischen Fussabdruck zu verringern. Sie investieren beispielsweise in die Isolierung ihrer Häuser und in Hybrid-­autos und senken ihren Fleischkonsum. Doch bleibt es für die meisten schwierig, auf ihre Ferien auf den Malediven oder das neueste iPhone zu verzichten. «Spannend ist bei den grünen Materialisten, dass sich bei ihnen die Wertekonflikte unserer Gesellschaft zuspitzen», analysiert Pia Furchheim. «Sie sind bereit, nachhaltige Verhaltensweisen anzunehmen, doch es gelingt ihnen nicht immer, der konsumorientierten Versuchung zu ­widerstehen. Denn das Problem ist, dass materielle Güter noch immer den Hauptindikator für den sozialen Status bilden. Und das kann nur schwer ignoriert werden.»

Pia Furchheim ist dennoch optimistisch. Die grünen ­Materialisten befinden sich meist in einer Übergangsphase zur Annahme von Verhaltensweisen, die umweltfreundlicher sind. Man spricht hier von einem «Trickle-over-Effekt»: Die als ­einfach bezeichneten umweltfreundlichen Massnahmen sind ein erster Schritt in Richtung tiefer greifender Handlungen. Die Hoffnung der Forscherin ruht vor allem auf den jungen Generationen, die mit anderen Werten aufgewachsen sind und sich eher am Sinn der Dinge orientieren als an deren Anhäufung. «Für viele junge Menschen wird der Status stärker durch die Qualität ihrer Lebenserfahrungen definiert als durch materielle Güter.» Mit diesen Werten wird sich ihre Bereitschaft, sich nachhaltige Verhaltensweisen anzueignen, viel einfacher in ökologisches Handeln im Alltag übersetzen.

 

Nudges zur Verhinderung des Rebound-Effekts
 

Eine bessere Isolierung ermöglicht Einsparungen bei den Heizkosten. Diese positive Bilanz hat allerdings eine ungünstige Nebenwirkung: Sie ermöglicht es dem Einzelnen, Geld zu sparen. Diese Erhöhung des verfügbaren Einkommens führt aber oft direkt zu neuem Konsum. Und dieser macht die für die Umwelt positive Ausgangssituation oft wieder zunichte. Beispielsweise, wenn man sich mit dem Geld, das man durch die bessere Isolierung gespart hat, ein grösseres Auto kauft.

Man nennt dies den «Rebound-Effekt». Dabei handelt es sich nicht etwa um ein neues Phänomen: Dieser wirtschaftliche ­Effekt wurde bereits 1865 vom britischen Wirtschaftswissenschaftler ­William Stanley Jevons beschrieben. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 ist das Interesse an diesem Effekt jedoch neu erwacht. «Der Rebound-Effekt stellt ein mögliches Hindernis bei der Um­setzung unserer Ziele zur Senkung des Energieverbrauchs dar», erklärt Ueli Haefeli, Senior Consultant bei der Interface Politik­studien Forschung Beratung in Luzern. Haefeli war am Projekt «Kollaborativer Konsum: Hype oder Versprechen?» des NFP 71 be­teiligt. «Der Rebound-Effekt könnte 10 bis 30 Prozent der ge­steigerten Energieeffizienz verschlingen.»

Wie kann man gegen dieses Phänomen vorgehen? Es ist schwierig, zu überwachen oder zu belegen, was Menschen mit dem durch die Verbesserung der Energieeffizienz gesparten Geld machen, oder hierzu Gesetze zu erlassen. Experten gehen davon aus, dass Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit eine grosse Rolle spielen. «Mit einem Merkblatt könnten wir Bewohner von renoviertem Wohnraum darüber informieren, wie sie das gesparte Geld in weniger umweltschädliche Alternativen investieren können», so Ueli Haefeli. Das nennt man Nudges: kleine «Schubser» in die richtige Richtung.