Nephila komaci ist 4 Zentimeter lang und hat 12 Zentimeter lange Beine, sie wohnt in einem südlichen Gebiet Afrikas – wohl den Wissenschaftlern, die einen über den genauen Ort in Unkenntnis lassen und damit Urlaubsträume wachhalten! – und sie baut ein Netz, das über 1 Meter Ausdehnung haben kann. Nephila komaci ist eine Radnetzspinne. Sie wurde 2009 ent­deckt. 

Armillaria ostoyae ist an sich 9 Quadratkilometer gross, wächst seit 2400 Jahren verborgen in der Erde des Malheur National Forest in Oregon in den USA und taucht nur vereinzelt auf und wird sichtbar; dann als gelber Hallimasch­ oder auch Ständerpilz an Baumstümpfen. Im Jahr 2000 wurde er entdeckt. 

Nora Gomringer ist 1,75 Meter gross und lebt in Bamberg. Ihre Tätigkeit als Autorin hat sie ein breites Netz von Lesern, Interessierten, Followern und Produzenten aufbauen lassen. Sie bewegt sich an der oberen Aufnahmegrenze von Facebook­-Freunden, hat zahlreiche Follower auf Instagram, ersieht, dass ihre Website im Netz besonders mittwochabends und sams­tags frequentiert wird und dies vor allem von Frauen zwischen 25 und 45, obwohl die Käufer ihrer Bücher eher 55 plus sind, aber auch meist weiblich. Die meisten veröffentlichen Kritiker­stimmen zu ihren Büchern jedoch sind männlich. Wie der Riesenpilz wurde Nora Gomringer im Jahr 2000 entdeckt. 

Dreimal Netz. Dreimal Produzenten. Was noch fehlt sind Fischernetz, Einkaufsnetz, U-­Bahn-­Netz, Netzstrumpf und beim Netz neben aller Struktur und allen Möglichkeiten: die Maschen, die Löcher, das Nichts zwischen dem Etwas. 

Mit dem vielbeschworenen Netz hat es so seine Tücken, ist es doch eigent­lich kaum sichtbar und damit dem unter­irdischen Myzel des Pilzes ähnlich, das sich nur hier und da sichtbar manifestiert. Sichtbarkeit in Sachen Virtualität hat mit Endprodukten zu tun. Mit Content Provi­dern, Geräten, Smartphones, Rechnern, Festplatten, Speichern, Servern, Rechen­zentren, grossen Gebäuden, in die dicke Kabel geleitet werden und in deren Kellern es brummt und blinkt und ständige gute Belüftung herrschen muss. 

Masse, vor allem sich bewegende, rührende, denkende Masse, bestehend aus Einzelteilen, steckt voller Energie. Energie, die in sie hineingeleitet wird, bleibt ihr entropistisch eingeschrieben, und Energie, die sie abgibt, verteilt sich oft nur mit geringem Verlust. Die Philosophie des Netzes ist die Philosophie der Netzmacher, der unzähligen Sporenkörper, Spinnenleiber, Ver­-Dichterinnen und Dichter: Sie ist wie Michael Endes Wesen Igramul, die Viele, deren Stimme ein mächtiger, verführerischer Chor ist. 

Die Masse, deren Daten lieb und teuer sind, besteht aus Bewe­gern, die zuvor bewegt wurden. Und wo Bewegung ist, da ist zwangsläufig Energie und Austausch von energetischen Zustän­den. Aber ich wiederhole mich ... 

Ich glaube, das erste Gut, das virtuell und in ein welt­ weites Netz eingespeist wurde, doch in seiner Eisbergmasse unsichtbar blieb bis heute, ist Geld. Das Online­Banking ist nur die folgerichtige Entscheidung, die virtuellen Geldmengen in entsprechenden, nämlich physisch unsichtbaren, Bergwerken immenser Ausmasse liegen, verwalten und wachsen zu lassen. 

Was unsichtbar ist, kann durch die Welt gereicht werden, ohne Hände zu beschmutzen. Dieses pecunia non olet. Hat es nie. Geld ist Spur und hilft bei der Spurensuche. In allen Kriminalfilmen ist klar, dass gefasst wird, wer mit Kreditkarte zahlt. Nur Bares ist Wahres, wenn man unsichtbar bleiben möchte auf der Erdoberfläche. Ist doch interessant. Seit Luhmanns Theorien um die Vereinzelung der Strukturen, der Systeme, ist die Not der Verknüpfungen dieser Einzelvor­kommnisse besonders deutlich geworden. Gedanklich muss es immer wieder gelingen, die Daten, darin die Fakten, Fiktionen, die Gegenstände des Geistes in Strukturen zu verbin­ den, die sowohl Festigkeit schenken als auch Expansion zu­ lassen. Die Löcher im Netz werden zunehmend interessanter, auch wandelt sich die Sprache um sie herum. Die Fliegen, die der Spinne entgehen, sich nicht im Klebfaden verheddern, werden schlauer, geschickter, sind in ihrer Konsequenz­losigkeit zunehmend wichtiger, weil sie die Maschen zeigen, die die Struktur ebenso vervollständigen wie das Gewebe, wie die Stille den Lärm, die Farben das Spektrum zwischen den Nichtfarben auffüllen. Mein eigenes Schreiben ist mittlerweile eine Netz­angelegenheit. Wie andere Autorinnen und Autoren meiner Generation habe ich das Netz und einzelne Social-Media-Plattformen als Orte der Publikation, Selbstmitteilung, Beobachtung und des Abgleichs, des Sendens und Empfangens vollkommen akzeptiert. Wenn ich einen Monat lang kein Gedicht schreibe, aber über 60 Posts platziere, habe ich – so vermeine ich es – einen Beitrag zur Kultur der Lettern geleistet. Ob es Literatur ist, müssen andere beurteilen. Paratext ist es allemal. Ich fungiere als Vernetzer, Facebook nennt mich einen Influencer. Ich mag das Wort «fungieren»: Es steckt dem Laien fungus, der Pilz, darin. Und damit ist das Myzel auch in diese Idee hineingesetzt. Die Spinne webt ihr Netz, der Pilz lässt es wachsen, die Gomringer pflegt es.