Unsere Produkte sind mutige Designer

Herr Professor Kelly, wie oft am Tag denken Sie an Autos?

(lacht) Das ist schwer zu beantworten. Bestimmt einen grossen Teil des Tages. Dabei geht es aber vor allem um Design und Ästhetik.

Sie sagen «Design» und «Ästhetik». Man hat mich gewarnt, nicht das Wort «Styling» zu gebrauchen. Warum?

Das war ein guter Rat, denn Styling ist für Frisuren oder solche Dinge. Das hat nichts mit Design zu tun.

Welches Design-Verständnis vermitteln Sie Ihren Studierenden stattdessen?

Die Studierenden kommen von überall auf der Welt zu uns nach Pforzheim, weil wir hier eine etwas andere Design-Philosophie vertreten. Dazu muss man verstehen, dass wir zwar für nahezu alle Automobilhersteller arbeiten, dass unser Produkt aber nicht die Entwürfe sind, die dabei entstehen. Unser «Produkt» sind die Designer. Wir versuchen, unseren Studierenden den Mut zu geben, sich auch Dinge zu trauen, die vielleicht heute noch nicht verstanden werden.

Schauen wir in die Zukunft. Welche neuen Entwicklungen werden das Design künftig prägen?

Bisher gab es eine Art Rhythmus für Innovationen in der Autoindustrie. Den gibt es heute nicht mehr. Vor allem selbststeuernde Fahrzeuge und Elektrofahrzeuge eröffnen ganz neue Möglichkeiten. Das macht unseren Job spannender. Zugleich sind das aber Funktionen, von denen die Menschen bis vor Kurzem gar nicht wussten, dass sie möglich sind, und erst recht nicht, dass sie diese brauchen.

 

Das wichtigste Design-Prinzip lautet «form follows function». Gilt das auch für die Autoindustrie?

Dieses Prinzip gilt natürlich auch dort. Design muss viele Funktionen ermöglichen. Aber beim Auto handelt es sich um ein sehr emotionales Produkt. Wenn jemand viel Geld dafür ausgibt, dann muss das ein sehr ansprechendes Produkt sein. 

Aber ist Auto-Design nicht in erster Linie Physik?

Sicher spielt die Physik eine Rolle. Aber wir verstehen das mehr als Kunst. Heute haben wir die grosse Chance, dass wir dank vielen neuen Entwicklungen weniger Rücksicht auf die technische Geschichte nehmen müssen, sondern alles neu denken können.

Wie verändert zum Beispiel autonomes Fahren das Design?

Das betrifft insbesondere das Interior-Design. Keiner hat Erfahrungen, wie der Innenraum eines autonomen Autos gestaltet sein soll. Vor etwa zwei Jahren kam die Idee auf, die Vordersitze umzudrehen. Das ist doch eher Bus fahren! Oder man setzt eine Virtual-Reality-Brille auf. Stellen Sie sich vor, ganze Familien sitzen im Auto und haben solche Brillen auf. Unsere Studierenden sind schon in einer anderen Phase: Sie wollen die Realität erlebbar machen und geniessen. Übrigens gibt es schon autonomes Fahren – man nennt das Taxi. Dort sitzt auch niemand rückwärts mit einer VR-Brille, sondern die Menschen lesen oder sehen aus dem Fenster.

Welchen Stellenwert haben für Ihre Designer Ökologie und Energieeffizienz eines Autos?

Keiner unserer Studierenden würde jetzt noch ein Auto mit V12-Motor und Doppelturbo vorschlagen. Die heutigen Studentinnen und Studenten interessieren sich für moderne, intelligente Technologie.

Werden Autos immer komfortabler, damit wir es länger im Stau aushalten?

In der Werbung sehen Sie fast nie mehrere Autos auf einmal. Meist fährt nur ein Auto durch eine schöne Landschaft oder eine Stadt. Als ich hier angefangen habe, hat tatsächlich jemand ein Auto entworfen, mit dem man es besonders gut im Stau aushalten kann. Das ist aber der falsche Weg. Richtig ist, Staus zu verhindern – mit Navigationssystemen, intelligenter Verkehrssteuerung und autonomem Fahren.

Wie wichtig ist Geschwindigkeit?

Als Teenager war ich fasziniert von Geschwindigkeit. Aber heute im Strassenverkehr spielt sie eigentlich keine grosse Rolle. Natürlich möchte jeder so schnell wie möglich von A nach B kommen. Aber mit einem Auto über 300 km/h fahren zu wollen, das gehört ins Reich der Fantasie. Meiner Meinung nach gibt es keine Notwendigkeit, mit einem Auto über 150 km/h zu fahren. Bei einem E-Auto zum Beispiel hat man das Fahrerlebnis beim Beschleunigen, aber bei hohen Geschwindigkeiten werden die Materialbelastungen und der Energieverbrauch zu hoch. Wer den Nervenkitzel sucht, muss auf die Rennstrecke gehen.

Stellt sich die Autoindustrie die Zukunft nicht seit fünfzig Jahren gleich vor? Mindestens könnte man das denken, wenn man die Concept Cars ansieht.

Es gab eine Zeit, in der ich mich auf die Automessen in Genf oder Frankfurt und die Design-Konzepte, die dort präsentiert wurden, gefreut habe. Wenn ich das aber vergleiche mit dem, was wir hier machen, finde ich das nicht spannend. Wir haben aber auch kein Publikum, dem wir etwas verkaufen müssen. Wir können uns diesen Luxus erlauben. Kein einziges unserer Autos wird genau so gebaut werden.

Befassen Sie sich in Ihrem Studiengang auch mit fliegenden Autos?

Wir führen immer wieder Diskussionen über Drohnen und fliegende Autos, bei denen es aber um ganz andere Dinge geht. Was passiert, wenn nicht zwei oder drei, sondern Hunderte Flugtaxis unterwegs sind? Gibt es dann Staus in der Luft? Wie wirkt sich schlechtes Wetter aus? Soll man losfliegen, wenn die Batterie nur halb voll ist? Fliegende Autos sind eine interessante Idee, aber wir bleiben lieber auf dem Boden.

Gehören Autos zum Stadtbild der Zukunft?

Ich würde in Zukunft gerne sehen, dass sich die Autos an die jeweilige Stadt anpassen. Auch hier sind autonome Fahrzeuge eine grosse Chance. Fahrzeuge, die Sie in die Stadt bringen und die sich dann selbst ausserhalb der Stadt parkieren, machen Parkflächen in Innenstädten überflüssig.

Werden die Autos unter die Erde verschwinden?

Wir Menschen leben über der Erde. Auch im Zug freuen Sie sich, wieder aus dem Tunnel herauszukommen. Lange Strecken mit dem Auto unter der Erde zurückzulegen, ist kein Szenario für uns.

Ist es nicht paradox, dass alle Hersteller über GrossraumShuttles nachdenken, aber die Menschen ihr Auto für sich alleine haben möchten?

Heute sind wir tatsächlich noch nicht so weit. Ich glaube aber, auch das wird sich ändern. Wesentlichen Einfluss wird dabei die Gestaltung des Interieurs haben. Der Grossraum ist und war schon immer eine Herausforderung für Interior-Designer. Aber auch andere Faktoren werden die Akzeptanz beeinflussen, zum Beispiel der Preis. Es wird unterschiedliche Fahrzeuge und Services geben: schnelle und langsamere, komfortable und weniger komfortable. Heute sehen wir immer nur ein einziges Konzept, in das jeder hineinpassen soll.

 

Prof. James Kelly, Studiengangleitung «Transportation Design» an der Hochschule Pforzheim.

Erhalten Sie manchmal von Ihren Studierenden Entwürfe, die auch Ihnen «zu verrückt» sind?

Selten. Eher muss man die jungen Leute provozieren, etwas zu sehen, was sie bisher nicht erkannt haben. Dazu muss man viele Fragen stellen: Was ist noch möglich? Was fehlt noch? Wie kann das noch besser funktionieren? Nur dann wird es ihre Idee und sie sind stolz darauf. Das ist der schönste Teil meiner Arbeit. Bis jetzt hat das funktioniert. Man weiss am Anfangnie, was am Ende herauskommt. Deshalb freue ich mich immer auf das nächste Semester und schaue niemals zurück.


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