Wer uns Menschen für ver­nünftige Wesen hält, ist selber schuld. Nicht dass wir dumm wären, doch in der Praxis schlägt die Emotion das Argument. Sah schon Aristo­teles so. Heute sagen Ökonomen: Der Mensch verfolge stets seinen Vorteil. Schön wärs. Tatsächlich verfolgen wir, was wir für unseren Vorteil halten. Ich zum Beispiel wohne in einem Jugendstilhaus, das wirkt am schönsten, wenn überall Licht brennt, so richtig massenhaft vergeudetes Licht. Es mag albern tönen, aber bei mir kommt, wenn es dunkel wird, Ästhetik vor Vernunft.

Bei Tageslicht kehrt die Vernunft zurück, sie will Energie­effizienz, auch die Energiewende, im Prinzip jedenfalls, also Schluss mit Ausbeuten von Ressourcen und Versauen des Him­mels. Es nützt darum wenig, mir den Kopf zu waschen, der ist okay. Mein schlampiges Verhalten würde ich erst ändern, wenn ich spürbar am Wandel gewänne, nicht nur die Erde oder die Menschheit oder meine Energiebilanz. Ist mir alles zu abstrakt, bringt nichts für mein konkretes Lebensgefühl. Sollen normale Menschen einer Wende zustimmen, brauchen sie eine Erlebnis­gratifikation, nicht nur den Moralbonus. Sonst reagieren sie hybrid: Windräder, oh ja, bitte, ganz viele, aber doch nicht in Sichtweite meines Hauses! Der Schall, der Schattenwurf! Der Wertverlust der Immobilie!

Das Projekt Energiewende ist ein Kind der nüchternen Vernunft. Wie es heranwächst, bestimmt seine Mentalität, sein Spirit, nicht nur Technik plus Subventionen. Von Anfang an verband es technologischen Zukunftsgeist mit einer Retro­ Mentalität. Da war erst der Forschergeist, der früh – etwa am Technikum Biel – auf Weltrekorde in Solarmobil­-Technik aus war, heute – etwa an der ETH – am Wasserstoff­ Antrieb tüftelt. Und da ist sodann die Mentalität der «Atom, nein dan­ke!» ­Bewegung, die in Technik den Urfeind der Natur sieht, die heute verfügbaren alternativen Energien für ausreichend hält, so nach dem Motto: Mit Sonne, Wind und Erdwärme versorgt uns Mutter Natur praktisch gratis, also Kernkraft ab­schalten, Endstation Paradies, Energiewende im Liegestuhl.

Energiewende als Start ins technologische Futur – oder als Kehrtwende zur Natur? An der Blumen­strasse in München steht seit 1887 der Kräuterladen «Wurzelsepp» – und schräg gegenüber der Showroom von Tesla. Beim «Wurzelsepp» finden sich die traditionellen Ökos ein, bei Tesla die neuen: Manager, Anwältinnen, sie wollen ein E-­Auto, aber eines, das cool ist, nicht so eines, das sich dafür entschuldigt, kein richtiges Auto zu sein. Der Tesla sieht aus wie ein Maserati und hängt mit seinen Lithium-­Ionen-Batterien jeden Porsche ab. Der Mensch ist mehr Romantiker als Ökonom. Er liebt den Glanz, das Tempo, den Glamour. Fürs Gute hat er durchaus Sinn – vorausgesetzt, er hat es selber gut mit ihm. Im Tesla scheint das für manche zu passen, sie fühlen sich wie in Spritschleudern, nur mit besserem Gewissen. Für ein frisches Lebensgefühl reicht Batterie statt Diesel nicht, es braucht Green Glamour.

Hat die Energiewende diesen Glamour­-Faktor? Sie müsste ihr Biederkeitsaroma loswerden – und zum Abenteuer einer radikal gewendeten Zukunft werden: wider die Gegenwartsge­mütlichkeit, dieses fantasielose Begnügen mit dem Erreichten, als ginge es allein noch darum, das Land mit Solarzellen und Windrädern zu überziehen. Was nicht einmal eine richtige Wende brächte, sind doch erneuerbare Techniken erst mässig erneuerbar; Solaranlagen verbrauchen Kupfer, Windräder Stahl, Biogas riesige Felder. Sie werden sich als Anfängertechniken erweisen.

Die Zukunft beginnt jenseits, demnächst mit Bioenergie von Algen, dereinst als schwebender Verkehr auf Magnetkissen usw. Dazu braucht sie mehr Düsentrieb ­Spirit, mehr Trial and Error, mehr Fantasie als Planung. Wir wissen so unglaublich wenig über Materie, Licht, Energie, Atomkern. Im Tresor dieses massenhaft Ungewussten schlummert eine Zukunft, die alles andere sein wird als verlängerte Gegenwart. Sie könnte die Wende hinlegen, hinein in ein Utopia, das komplett «nachhal­tig» haushält – aber auch zu träumen gibt: von einer reichen, freien, verschwenderischen Lebensart, deren Kosten weder Natur noch Enkel begleichen müssen.